„Alleinerziehende gehen am Stock“: Erziehungsberatung der Diakonie Gütersloh zieht Shutdown-Zwischenbilanz

Angelika Frisch-Tumbusch (l.) und Petra Hingst im „Spielzimmer“ der Familienberatung. Die Trennscheibe ist neu. So können sich Paare entspannt beraten lassen, auch ohne Masken. Foto: Diakonie Gütersloh

Gütersloh, 04. Juni 2020. „Familien sind von der Corona-Krise am härtesten betroffen. Und Alleinerziehende, die wirklich ganz allein dastehen, gehen am Stock.“ Petra Hingst und Angelika Fritsch-Tumbusch, Erziehungsberaterinnen der Diakonie Gütersloh, ziehen rund zehn Wochen nach dem Corona-Shutdown ein Zwischenfazit. Und sie warnen vor Folgen, die noch nicht ans Tageslicht treten. Doch es gibt auch gute Nachrichten: Manche Familien rücken wieder enger zusammen.

Für Familien in Deutschland bedeutet diese Krise eine beispiellose Herausforderung. Das hat das Deutsche Jugendinstitut (DJI) in einer neuen Studie festgestellt.* Die Erziehungsberaterinnen der Diakonie Gütersloh können diese Erkenntnis für ihren Bereich bestätigen. Und sie machen den Eltern Mut: „Wenn Sie in dieser schwierigen Zeit an ihre Belastungsgrenze kommen, ist das absolut verständlich“, sagen sie und betonen: „Wir sind für Sie da. Und sei es nur, um sich den Frust von der Seele zu reden und ein, zwei kleine Tipps mitzunehmen.“

 

Kinder und Jugendliche sind auch gestresst

Diese Einladung geht auch an Kinder und Jugendliche. „Denn sie leiden in dieser Zeit ebenfalls unter Stress“, so Diplom-Sozialpädagogin Angelika Fritsch-Tumbusch. Wochenlang kein Kindergarten, keine Schule, kaum Freunde. Feiern, Tanzen, all das fällt aus. Manchmal steht auch die Ausbildung auf der Kippe oder mit dem Fernunterricht klappt es nicht. Einigen wächst auch Ärger mit den Eltern über den Kopf.

 

 

Ängste haben zugenommen

Ängste, die vorher schon latent da waren, haben sich bei manchen Klient*innen verstärkt. Relativ isoliert auf engem Raum zusammenzuleben, Geldsorgen – auch weil Unterhaltszahlungen plötzlich ausbleiben, grundsätzliche wirtschaftliche Existenzängste, der Wegfall von Betreuungsmöglichkeiten für die Kinder und Sorgen vor einer Ansteckung mit dem Covid-19-Erreger kollidieren in den Familien mit der Sehnsucht des Nachwuchses nach einem ganz normalen Alltag und Freiheiten, die „früher“ selbstverständlich waren.

 

Studie: In jeder fünften Familie herrscht „konflikthaftes Klima“

Laut der Studie des DJI, deren erste Ergebnisse der Süddeutschen Zeitung vorliegen, herrscht in jeder fünften Familie in Deutschland (22 Prozent) „häufig oder sehr häufig ein konflikthaftes Klima.“ Die Familienberatung der Diakonie Gütersloh war darauf gefasst, dass solch eine Entwicklung droht, und hat seit dem Shutdown Mitte März in voller Besetzung weiter gearbeitet. Das Team war auch persönlich für die Klient*innen da; sowohl telefonisch als auch persönlich in der Kirchstraße 16a in Gütersloh; allerdings mit dem Mindestabstand und ohne Kinder im selben Raum.

 

Plexiglas-Wände ermöglichen Gespräche ohne Masken

Jetzt gibt es zusätzliche Möglichkeiten: Dank rollbarer Trennwände lassen sich wieder Gespräche mit Paaren führen, während die Kinder sich im selben Raum in einer Spielecke beschäftigen. Insgesamt stehen zwei große Räume für Gespräche zur Verfügung.

Außerdem gibt es die ambulante Erziehungshilfe. Dafür packen die Beraterinnen einfach eine kleinere Trennscheibe ins Auto und fahren direkt zu den Familien.

 

Grenzen des Telefonierens erkannt

Mit dem Telefonieren ist das so eine Sache, haben die beiden Beraterinnen festgestellt. „Gerade bei Erstkontakten ist es für uns immer wichtig, die Mimik bei unserem Gegenüber zu sehen; zu erkennen, wie ein Mensch im Gespräch reagiert. Bei einem Telefonat ist das nicht möglich“, erläutert Angelika Fritsch-Tumbusch. Hinzu komme, dass die Kinder oft zuhause sind und im Hintergrund mithören. „Sie wissen dann, worum es geht, und sind beim ersten persönlichen Kennenlernen mit uns weniger zugänglich“, so die Beraterin weiter.

 

Ein Schüler muss in Spanien ausharren

Anders verhält es sich bei Telefonaten mit bekannten Klient*innen. „Die haben sich gefreut, wenn wir einfach mal anriefen und uns erkundigten, wie es ihnen geht.“ Speziell ist der folgende „Fall“: Diplom-Psychologin Petra Hingst spricht regelmäßig mit einem Schüler, der in Spanien hängengeblieben ist und seit Wochen nicht zurück nach Deutschland zurückkehren kann. Ihm hilft der moralische Beistand am Telefon.

 

„Die Leute haben die Nase voll von Basteltipps aus dem Netz“

Für manche Menschen, besonders aber für einige Alleinerziehende, fiel das Kinder-Betreuungssystem ab dem 16. März komplett aus. Sie waren verzweifelt. „Diejenigen, die keinen Garten hatten, waren am Ende ihrer Kräfte“, so Petra Hingst. „Eine Mutter von vier kleinen Kindern wusste zwischenzeitlich nicht einmal, wie sie einkaufen gehen sollte – mehr als zwei Personen waren in Supermärkten nicht zugelassen.“ Gut wäre es ihrer Meinung nach, wenn dann Freunde oder Nachbarn helfen könnten.

 

Nicht nur Eltern fragen sich, wie es auf Dauer weitergeht. „Die Leute haben die Nase voll vom hundertsten Basteltipp und lustigen Turnübungen im Internet“, sagt Angelika Fritsch-Tumbusch. „Sie wollen wissen: Wie soll auf lange Sicht die Betreuung der Kinder funktionieren, zum Beispiel, wenn beide Elternteile arbeiten?“

 

Jugendlichen fällt es schwer, im Unterrichtsmodus zu bleiben

Bei Kindern und Jugendlichen sei ebenfalls langsam die Luft raus: „In den ersten Wochen ging es noch. Die Kinder befanden sich im Schulmodus und haben anfangs sogar Spaß am ‚Schule spielen‘ mit Mama oder Papa als Lehrkräften gehabt“, erinnert sich Petra Hingst. „Das ist nach den Osterferien anders geworden. Auch Jugendlichen fällt es zunehmend schwerer, sich für den rein digitalen Unterricht zu motivieren.“

 

Besondere Sorge um Kinder mit Förderbedarf

Abgesehen davon befürchten die Familienberaterinnen der Diakonie Gütersloh negative Folgen für die sozio-emotionale Entwicklung von Kindern, wie Petra Hingst sagt. Außerdem gehe es darum, soziale Kompetenzen im Umgang mit anderen zu erlernen. Diese Möglichkeiten seien praktisch ersatzlos weggefallen. „Kinder und Jugendliche vermissen ihre sozialen Kontakte. Sie haben in dieser Zeit gemerkt, dass digitale Medien nicht alles sind.“

Angelika Fritsch-Tumbusch ergänzt: „Bei machen Kindern ist eine besondere Förderung notwendig. Im Kita-Bereich wurde gut darauf geachtet, wenn beispielsweise heilpädagogische Unterstützung oder Sprachförderung angezeigt war.“

 

Kinderärzte haben sich für Kita-Öffnungen eingesetzt

Unterdessen haben unter anderem Kinderärzte an die Landesregierung appelliert, Kindergärten umgehend wieder für alle Kinder zu öffnen. Offenbar mit Erfolg: Vom 8. Juni an sollen Kitas wieder für alle zugänglich sein, wenn auch zeitlich eingeschränkt.

Das stimmt die Erziehungsberaterinnen zuversichtlich. „Wir hoffen, dass wir bald auch in den Kitas wieder die Beratung aufnehmen können“, sagt Angelika Fritsch-Tumbusch. Die letzten Sprechstunden vor Corona gab es in Kindergärten am 12. März.

 

Paare raufen sich zusammen

Die Beraterinnen sehen auch positive Seiten der Krise, wie Petra Hingst berichtet: „Für bestimmte Familien bietet sie sogar eine Chance zu schauen: Wie kriegen wir das gemeinsam hin? Und manchen gelingt es, sich wieder zusammenzuraufen – zumindest als Eltern.“

 

Einfach einen Termin vereinbaren

Beratungstermine lassen sich telefonisch oder persönlich in der Gütersloher Kirchstraße 16a vereinbaren: montags von 8 bis 17 Uhr, dienstags von 8 bis 16 Uhr, mittwochs von 8 bis 16 Uhr, donnerstags von 8 bis 17 Uhr und freitags von 8 bis 13 Uhr, jeweils mit Mittagspausen ab ca. 13 Uhr von 30 Minuten. Ansprechpartnerinnen im Sekretariat sind Monja Baak und Elke Hegeler, Telefon: 05241 98674100 und per E-Mail: eb(at)diakonie-guetersloh.de

Ambulante Besuche zuhause sind ebenfalls möglich, etwa im Garten oder auf einem Spielplatz.

Zudem gibt es Außenstellen der Erziehungsberatung in Verl, Schloß Holte-Stukenbrock, Rietberg-Neuenkirchen und Rheda-Wiedenbrück. Termine dort lassen sich ebenfalls über das Sekretariat vereinbaren.

Aktuelle Infos gibt es unter www.diakonie-guetersloh.de

 

Hintergrund: 

Die Beratungsstellen der Diakonie an der Kirchstraße

Am Standort Kirchstraße hat die Diakonie Gütersloh zahlreiche Einrichtungen gebündelt. Die Hilfsangebote ergänzen einander. Zu dem sogenannten „Cluster“ zählen:

+ Kirchstraße 16: Tagespflege

+ Kirchstraße 16a: Familienberatung für Kinder, Jugendliche und Eltern, Ambulante Erziehungshilfen, Schwangerschafts- und Schwangerschaftskonfliktberatung (alle seit Ende 2019)

+ Kirchstraße 10a: Diakoniestation, Schuldner- und Insolvenzberatung, Jugendmigrationsdienst, Flüchtlingsberatung, Café Connect

+ Kirchstraße 10b: Wohnungslosenhilfe, Freiraum – Wohnhilfen für junge Erwachsene, Café Kanne „Mittendrin“ liegt das „Haus der Begegnung“ der Evangelischen Kirche. Auf dem Gelände finden sich zudem die Suppenküche und weitere soziale Einrichtungen.