Pressemitteilung für den Kreis Warendorf/Beckum: „Verschuldung ist immer auch eine menschliche Katastrophe“

Sandra Fuest ist im Kreis Warendorf tätig und leitet dort die Schuldner- & Insolvenzberatung der Diakonie Gütersloh am Standort Beckum. Sie betont die Wichtigkeit eines ganzheitlichen Blicks auf den Klienten für den nachhaltigen Weg aus der Überschuldung.

Die Schuldnerberater*innen des Diakonie Gütersloh e.V. in Beckum beobachten seit Beginn der Corona-Pandemie, dass die Anzahl verschuldeter Menschen zunimmt. Diese Entwicklung treffe auf alle sozialen Schichten zu. „Die Schuldnerberatung muss daher bedarfsgerecht ausgebaut werden, um verschuldeten Menschen besser helfen zu können.“ Das fordert Sandra Fuest, Leitung der Schuldner- und Insolvenzberatung der Diakonie Gütersloh in Beckum, anlässlich der Aktionswoche Schuldnerberatung 2021.

Die diesjährige Aktionswoche der Arbeitsgemeinschaft der Schuldnerberatung der Verbände findet vom 7. bis zum 11. Juni statt. Ihr Motto lautet „Der Mensch hinter den Schulden“.

Ganzheitlicher Blick

„Soziale Schuldnerberatung hat den Menschen ganzheitlich im Blick“, sagt Fuest. „Das macht auch den Erfolg dieses Ansatzes aus, den zahlreiche Studien belegen.“ Verschuldung schränke die Lebensgrundlage vieler Menschen ein. Das sei nicht nur ein finanzielles Problem. „Uns geht es um die Menschen hinter den Schulden. Verschuldung ist immer auch eine menschliche Katastrophe“, so Sandra Fuest.

Rund zwei Millionen Soloselbstständige und Freiberufler bedroht

Nach Schätzungen sind – auch in Folge der Corona-Pandemie – zwei Millionen Soloselbstständige und Freiberufler von Überschuldung bedroht. „Viele Existenzen sind finanziell prekär aufgestellt. Wir sprechen mittlerweile nicht mehr nur über Empfänger von Grundsicherung und im Niedriglohnsektor Beschäftigte. Jetzt drohen auch Menschen in Verschuldung zu geraten, die es vorher niemals für möglich gehalten hätten“, sagt die Schuldnerberaterin.

Vor allem auf dem Land: mehr Beratungsstellen nötig

Dies zeige, dass zusätzliche gemeinnützige Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen nötig seien, vor allem im ländlichen Raum. „Die Kommunen kommen nicht umhin, eine angemessene personelle und materielle Ausstattung der Schuldnerberatungsstellen zu finanzieren“, sagt Fuest. Dazu gehöre auch die Berücksichtigung von tariflichen Löhnen und von Verwaltungs- und Sachkosten. Ein nicht ausreichendes Netz von Schuldnerberatungsstellen, das nicht auskömmlich finanziert ist, komme die Kommunen am Ende teurer zu stehen.

Kirchensteuermittel machen vieles erst möglich

Jeder Verschuldete, dem nicht gut geholfen werden kann, droht eine zusätzliche Belastung für die Kommunen bei der Sozialhilfe zu werden. „Zwar können Menschen, die beispielsweise Sozialleistungen nach dem SGB II oder XII beziehen, durch die finanzielle Unterstützung des Kreises Warendorf zeitnah beraten werden, aber dies ist noch keine auskömmliche Finanzierung. Auch Hilfesuchende, die keine Ansprüche aus dem Sozialgesetzbuch empfangen wie z.B. Berufstätige, sollten einen Zugang zu einer kostenfreien Schuldnerberatung haben.“, so Fuest weiter. Der pauschal finanzierte Schuldner- und Insolvenzberatungsbereich wäre ohne Kirchensteuermittel in der erbrachten Form gar nicht möglich.

Rechtsanspruch auf Schuldnerberatung gesetzlich verankern

Menschen, die in finanzielle Not geraten sind, benötigten – unabhängig von ihrer Einkommenssituation – kompetente Unterstützung. Daher müsse endlich ein Rechtsanspruch auf Schuldnerberatung für alle ins Gesetz geschrieben werden.

Speicherfristen erschweren Neustart

Sandra Fuest begrüßt ausdrücklich die jüngste Reform des Insolvenzrechts, der zufolge es möglich ist, nach drei Jahren eine Schuldenbefreiung zu erhalten. Doch nun seien weitere Reformen notwendig: „Die Speicherfristen von Schuldendaten bei Auskunfteien müssen deutlich kürzer werden“, so Fuest. Denn die Schuldendaten bleiben bei der Schufa nach Ende des dreijährigen Insolvenzverfahrens weitere drei Jahre gespeichert. „Das erschwert ehemals Verschuldeten den Neustart“, erklärt Fuest. „Für diese Menschen ist es zum Beispiel schwer bis unmöglich, unter diesen Bedingungen eine neue Wohnung zu finden.“ Eine Speicherfrist bei der Schufa von höchstens einem, besser einem halben Jahr, könne eine fortdauernde Stigmatisierung verhindern.