Serie "Gesichter der Diakonie" (II): ,,Wir sind wie eine kleine Familie“

Mit einem Koffer voller Bücher und einem Studienabschluss in „Buchhaltung, Ökonomie und Audit" in der Tasche kam Tatiana Kulakova 2012 nach Deutschland. Sie stammt aus der Altai-Region in Sibirien. Heute leitet die 40jährige alleinerziehende Mutter die Pflege-WG Trinitatis der Diakonie Gütersloh.

In Russland habe ich einen Viehzuchtbetrieb geleitet, mit mehr als 1.000 Tieren. Es gab eine Zuchtstation und ein Labor. Ich war für rund 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zuständig. Aber als ich nach Deutschland kam, zählte meine Berufsausbildung nicht. Mein Abschluss wurde nicht anerkannt. Im Jobcenter fragte mich die Sachbearbeiterin: ,Was wollen Sie jetzt tun? Sie müssen ja arbeiten. Bis zur Rente ist es noch ein langer Weg. Aber Sie sind in einem tollen Alter. Sie schaffen das.'

„Wenn wir etwas Gutes tun, dann kommt auch etwas Gutes zurück“

Ich habe ich mich für eine Ausbildung in der Pflege entschieden, ohne vorher in den Beruf hineingeschnuppert zu haben. Für mein Kind wollte ich ein Vorbild sein und zeigen, dass ich Aufgaben durchziehe. Außerdem glaube in an Gott und bin überzeugt davon: Wenn wir etwas Gutes tun, dann kommt auch etwas Gutes zurück.

Und wissen Sie was? Jetzt pflege ich gern! Das gefällt mir sogar besser als mein alter Beruf. Ich mag praktisch alles daran, vor allem den Umgang mit den alten Menschen.

Zu Beginn meiner Ausbildung war ich Anfang 30, und Deutsch sprach ich nur bruchstückhaft. Ein halbes Jahr lang besuchte ich einen Sprachkurs. Dann klappte es mit einem Ausbildungsplatz in Rietberg, im Haus am Dortenbach bei der Diakonie Gütersloh. Damals war Ulrike Ramforth die Leiterin. Dass sie mich eingestellt hat, bedeutete eine große Chance! Frau Ramforth war außerdem ein wunderbares Vorbild. Von ihr habe ich so viel gelernt, zum Beispiel über den Umgang mit Angehörigen und demenziell erkrankten Bewohnerinnen und Bewohnern.

„… da war ich gerade mal sieben Jahre in Deutschland“

Meine Noten waren am Anfang schrecklich! Aber ich habe immer viel gelernt, und mit der Zeit wurde es besser. Seit 2016 bin ich examinierte Altenpflegerin und inzwischen auch Praxisanleiterin für neue Auszubildende.

2018 wurde ich stellvertretende Teamleiterin im Haus am Dortenbach in Rietberg. Kurz darauf, im Dezember 2019 übernahm ich offiziell die Leitung. Da war ich gerade mal sieben Jahre in Deutschland.

Mitte April 2022 wechselte ich schließlich zur Demenz-Pflege­WG Trinitatis in Gütersloh. Das Haus in Rietberg aufzugeben fiel mir damals nicht leicht. Aber Trinitatis ist mir inzwischen ans Herz gewachsen: Die 17 Bewohner*innen sind so toll! Ich liebe sie alle! In dem Gebäude am Brockweg fühle ich mich ebenfalls wohl. Früher stand auf dem Gelände eine Kirche. Das erzeugt bei mir als gläubigem Menschen ein besonderes Gefühl.

In unserer Pflege-WG sind wir wie eine kleine Familie. Wohngemeinschaften wie Trinitatis bieten eine tolle Anleitung für die Auszubildenden und einen engen Bezug zu den Bewohner*innen und Kolleg*innen. Ich habe 20 Mitarbeitende. Der Kontakt zu den Angehörigen ist mir ebenfalls sehr wichtig.

Mein Büro befindet sich direkt neben der Eingangspforte. Durchs Fenster sehe ich, was draußen los ist, und drinnen lasse ich die Tür offen. So bekomme ich alles mit, was um mich herum in der WG passiert. Und selbst wenn ich auf den Bildschirm schaue – die Bewohner*innen erkenne ich ja an ihren Stimmen und auch an ihrem Gang.