Wenn der Lumberjack mit dem „Canadian“ reist

Klaus Umbeck (Mitte) mit seiner Familie im Wohnpark Friedenskirche (von links): Hakan, Glen und Elke Umbeck, Jutta Galling und Klaus Umbecks Ehefrau Gisela. Foto: DiakonieVerband Brackwede

Bielefeld-Senne, Januar 2019. Unternehmungslustig war Klaus Umbeck schon immer. In den 50er Jahren arbeitete er in Kanada: im Winter als „Lumberjack“ – Holzfäller – und im Sommer als Tabakpflücker. Viele Jahre und ein erfülltes Arbeitsleben in Deutschland später ging es darum, eine gute Pflege-WG finden. Seine Familie traf eine Vorauswahl. Doch entscheiden sollte und wollte Klaus Umbeck selbst. Er machte sich fein mit Anzug, Hemd und Krawatte. Und los ging‘s mit Ehefrau Gisela, Tochter Jutta und Enkelin Nele, unter anderem zum „Wohnpark Friedenskirche“ in Senne.

Dort betreibt der DiakonieVerband Brackwede seit 2009 zwei Wohngruppen für Pflegebedürftige  und Menschen mit Demenz. Klaus Umbeck inspizierte zunächst das Erdgeschoss mit der circa 230 Quadratmeter großen Wohnküche samt Sofaecke, dann Zimmer und Bäder, später den Garten und das Obergeschoss. Anschließend eröffnete er seinen Begleiterinnen: „Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass ich hier einziehe.“

 

Neue Studie: Pflege-WGs liegen im Trend

Mit der Wahl einer Pflege-WG liegt Klaus Umbeck im Trend: Laut dem Barmer-Pflegereport vom November 2019 gibt es inzwischen bis zu 8.000 betreute Wohnanlagen in Deutschland und etwa 4.000 Pflege-WGs. Von insgesamt 3,4 Millionen Pflegebedürftigen werden etwa 790.000 in Heimen versorgt, während rund 150.000 in betreuten Anlagen leben und circa 31.000 in Wohngemeinschaften.

 

Das Wohngruppen-Konzept

Ursprünglich hat Anne Kochanek das Wohngruppen-Konzept für die Pflege-WGs des DiakonieVerbands Brackwede mit ins Leben gerufen. Damals war sie zuständig für Altenberatung und Service-Wohnen. Im Dezember 2016 stieß Irina Gieswein zur Leitung der Wohngruppen hinzu. Anne Kochanek ist inzwischen im Ruhestand.

 

Rechtlich gesehen führen die Menschen, die in den Wohngruppen leben, einen eigenen Haushalt. Sie sind Mieter*innen des eigenen Zimmers und anteilig der Gemeinschaftsflächen. Vermieter ist ein Investor. Der DiakonieVerband kümmert sich um Dienstleistungs- und Pflegeangebote. Das erklärte Ziel: „ein Höchstmaß an normalem und vertrautem Lebensalltag für alle Mieter*innen“ zu gewährleisten“. Pro Wohngruppe gibt es im Wohnpark ein kleines Team aus einer Gruppenbetreuungskraft, zwei Einzelbetreuungskräften, einer Pflegefachkraft sowie Pflegehilfskräften, teils mit Zusatzqualifikation zur Behandlungspflege.

 

Angehörige machen mit

Klaus Umbeck lebt seit November 2018 im Wohnpark Friedenskirche. Jutta Galling nutzt häufig die Möglichkeit, von ihrer Firma aus schnell zum Vater zu fahren – gemeinsam mit ihrem Mann führt sie ein Bestattungsunternehmen in der Senne. Dass sich Angehörige ebenso wie Ehrenamtliche mit um die Bewohner*innen kümmern, ist für sie selbstverständlich und auch wesentlicher Teil des WG-Konzepts. Herr Umbeck zum Beispiel hat mit Unterstützung Tomaten und Blumen im Hochbeet angepflanzt und Johannisbeeren geerntet. Anfangs ging er auch viel mit der Tochter spazieren, aber die Kräfte lassen nach. Jetzt puzzeln sie viel gemeinsam und legen Patiencen.

 

Leben wie in einer Großfamilie

„Bei uns steht nicht Pflege im Vordergrund, sondern das Leben“, betont Leiterin Irina Gieswein. Leben wie in einer Großfamilie, mit je neun Bewohner*innen pro Wohngruppe. Man isst, wenn möglich, zusammen an einem langen Tisch mit Blick in den Garten. Wer mag, kann vorher beim Kochen helfen. Eine Dame liebt es zum Beispiel, Kartoffeln zu schälen, Kuchen zu backen und Wäsche zusammenzulegen. Klaus Umbeck ist stolz auf seinen „Obstsalat aus eigener Produktion“ und die selbst gebackenen Kekse. Und wenn jemand einfach nur zuschauen möchte? „Das ist völlig in Ordnung“, sagt Irina Gieswein.

 

Bielefelder Musikanten und Jan Henning Foh sorgen für Kontinuität

Manche Bewohner*innen ziehen sich nur in ihre eigenen Zimmer zurück, um ein Mittagsschläfchen zu halten oder wenn es ihnen zu ungemütlich wird. Ungemütlich? Das passiert schon mal, wenn um sie herum geputzt und Staub gesaugt wird. Geputzt werden muss natürlich, aber das übernehmen vertraute Kräfte. Ansonsten sitzen die Bewohner*innen gern auf dem Sofa, spielen Kartenspiel oder singen gemeinsam alte Schlager in einem Ambiente, das von Möbeln aus der „guten alten Zeit“ geprägt ist. „Wir legen unsere Strukturen quasi um die Bewohner*innen herum“, fasst Irina Gieswein zusammen.

 

Um zu beschreiben, was bei einer Demenz passiert, nimmt Betreuungsassistentin Hanna Tilgner eine Kommode als Beispiel: „Eine Schublade nach der anderen geht zu. Das hat etwas Bedrohliches.“ Das emotionale Gedächtnis aber bleibe auf Dauer erhalten. Umso wichtiger seien Kontinuität, etwa ein geregelter Tagesablauf und möglichst immer die gleichen Gesichter in der Umgebung. Das schaffe Vertrauen in sich selbst und in die Welt. 

 

Rituale geben Struktur, auch im Jahreslauf: Im Sommer kommen „immer“ die Bielefelder Musikanten zum Grillfest und im Advent stimmt „alle Jahre wieder“ Musikgeragoge Jan Henning Foh mit seiner Ukulele Weihnachtslieder an, die sprachlich variieren und für fröhliche Stimmung sorgen. Pastorin Dorothee Serdeszus von der Evangelischen Emmaus-Kirchengemeinde Senne gestaltet Gottesdienste im Wohnpark Friedenskirche.

 

„Wenn wir zusammen gelacht haben, war es ein guter Tag“

„Nehmen wir heute den Canadian Pacific oder den Ontario Railway?“, fragt Hanna Tilgner Herrn Umbeck. Sie ist für die Einzelbetreuung zuständig und überlegt vorher ganz genau, wie sie das seelische Wohlbefinden der ihr anvertrauten Menschen erhöhen kann. Dazu gehört, dass sie sich mit deren Biografie befasst. Außerdem fußt die Arbeit auf dem Prinzip der Validation nach Naomi Feil und der Selbsterhaltungstherapie nach Barbara Romero.

 

„In den Schuhen der alten Menschen gehen“, nennt Hanna Tilgner das; sich auf deren Erfahrungen und Interessen einlassen. Klaus Umbeck erinnert sich gern an seine abenteuerliche Zeit in Kanada zurück. Andere freuen sich, wenn sie wie früher Kaffee und Kuchen im Café Groll in Brackwede genießen, einen Friseurbesuch oder einen Gang zu den Hühnern beim Bauern in der Nachbarschaft unternehmen. Oder sie sitzen einfach gemütlich auf dem Sofa in der Wohnküche und plaudern. Manchmal kommt ein Märchenerzähler vorbei. Sturzprophylaxe und Fingeryoga (indische Handbewegung mit Heilwirkung) gehören ebenfalls zum Betreuungsangebot.

 

„Wenn wir zusammen gelacht haben, war es ein guter Tag“, sagt Hanna Tilgner. Und für Klaus steht fest: „Ich habe vor, noch ein paar Jahre in diesem Haus zu leben.“

 

----------------------------------------------------------

Infokasten

Derzeit versorgt der DiakonieVerband Brackwede  an drei Standorten in Bielefeld demenziell veränderte und/oder pflegebedürftige Menschen in insgesamt vier Wohngruppen:

 

+ „Wohnpark Friedenskirche“, Feuerbachweg 7 in Senne, mit zwei Wohngruppen

+ „Wohnen an der Cansteinstraße“, Cansteinstraße 2 in Brackwede

+ „Wohnen im Pastorengarten“, Heeper Str. 432 in Heepen

 

Rechtlich betrachtet führen die Bewohner*innen einen eigenen Haushalt. Sie sind Mieter*innen ihres Zimmers und anteilig an den Gemeinschaftsflächen. Ergänzend wählen sie Dienst- und Pflegeleistungen hinzu. Es gibt Wartelisten.

 

Ansprechpartnerin ist Irina Gieswein unter Tel. 0521 5578989, im Wohnpark Friedenskirche unter Tel. 0521 5574324  oder per E-Mail: irina.gieswein(at)diakonie-bielefeld.de